Die stummen Glocken von Kirchdorf – Friesenzeit Folge 8
Hallo liebe Hörerinnen und Hörer! Endlich geht es wieder auf den Winter zu, das heißt, ich habe wieder ein wenig mehr Zeit für neue Fortsetzungen des Hörspiel-Podcasts Friesenzeit. Wer mich kennt, weiß – hier geht es rund um Märchen, Sagen und Legenden aus den alten Ostfriesland. Heute reisen wir wieder ein paar Jahrhunderte zurück in der Zeit nach Aurich / Kirchdorf.
Nachdem ich von einem guten Freund ein neues (sehr altes) Buch über Sagen zum Geburtstag bekam, habe ich diese schöne Sage etwas weiter umgearbeitet und für eine Erzählung umgeschrieben. Unter Quellen ist das Buch verlinkt.
Hoffentlich kann ich dazu beitragen, dass auch diese Sage nicht in Vergessenheit gerät, denn diese Geschichte war mir neu! Wenn Du mich dabei unterstützen magst, freue ich mich sehr, wenn Du die Folge mit Freunden oder Familie teilst – danke <3 Ich hoffe, die neue Folge gefällt Dir und kann vielleicht beim Einschlafen oder beim Träumen von Ostfriesland helfen ;-) Wie immer freue ich mich natürlich über jeden Kommentar, neue Ideen oder Anregungen aller Art :)
Viele liebe Grüße aus Wiesmoor,
Jürgen
Hier nochmal die Textversion. Aufmerksame Hörer:innen werden es vielleicht schon bemerkt haben, dass ich mal wieder hier und da beim Einsprechen mich für ein paar Änderungen im Text entschieden habe, weil es dann vielleicht besser klingt – man möge mir verzeihen. Hier also nochmal zum Mitlesen:
Die stummen Glocken von Kirchdorf
In den stürmischen Zeiten des 16. Jahrhunderts, als die Schatten des Dreißigjährigen Krieges sich bereits über Europa zu legen begannen, merkte man davon noch nichts im kleinen Dörfchen Kirchdorf.
Diese alte Siedlung, die bereits 1599 als „Kerckdorp“ urkundlich erfasst wurde und von der diese Sage erzählt, gehörte seiner Zeit zu den sogenannten „Negen Loogen“. Dies war eine Gruppe von neun Dörfern, die einstmals ringförmig um den späteren Kern der Stadt Aurich lagen. Neben Extum, Haxtum, Walle, Sandhorst, Wallinghausen, Egels und Popens bildete Kirchdorf als Sitz der Kirche das Zentrum dieser kleinen Gemeinschaft.
Die Bewohner dieses kleinen ostfriesischen Ortes waren hart im Nehmen und gewohnt, den rauen und unberechenbaren Elementen der norddeutschen Natur zu trotzen.
Kirchdorf war ein blühendes Dorf und gesegnet mit fruchtbaren Feldern. Sein Wohlstand stand in krassem Gegensatz zu dem benachbarten Aurich, einer noch jungen Siedlung, deren Bewohner neidvoll auf die Reichtümer der Kirchdorfer schielten. In dieser Zeit der Zwietracht und des Misstrauens sollte sich eine Geschichte entspinnen, die von Gier, List und einem Fluch handeln würde, der noch lange nachklingen sollte.
Unsere Geschichte beginnt in einer gemütlichen Taverne von Kirchdorf. Die Bewohner feierten eine reiche Ernte und hoben gerne einen Becher auf ihre fruchtbaren Felder.
Kirchdorf war weithin bekannt für seinen Wohlstand, und selbst die Bewohner des benachbarten Aurich, einer damals noch jungen Siedlung, pilgerten sonntags hierher, um in der Kirche Gottesdienste zu feiern. Denn Aurich besaß noch keine eigene Kirche und war noch weit davon entfernt, den Reichtum Kirchdorfs zu erreichen.
Und genau dieser Umstand nährte bei den Aurichern einen Neid, der sich mit jedem Jahr verstärkte. Der Burgherr von Aurich, ein gerissener Mann, erkannte diese Stimmung und sah darin eine Chance, seinen Besitz zu mehren. Anlässlich des Festes in Kirchdorf besuchte er das Wirtshaus und stieß mit den Dorfbewohnern auf ihren Erfolg an. Er lobte ihren Fleiß und ihre Klugheit und ließ reichlich Wein ausschenken.
Der Bürgermeister von Kirchdorf, bereits beschwingt vom Wein, fühlte sich geehrt. Als der Auricher beklagte, dass sein eigenes Land im Vergleich zu den reichen Feldern Kirchdorfs recht dürftig sei, da er nicht über so viel fruchtbares Land verfüge, bot ihm der Bürgermeister freimütig an: „Euer Gnaden, nehmen Sie sich so viel Land, wie Sie und Ihre Leute an einem einzigen Tag mit einem Schlot und einem Wall umzäunen können!“
Der Auricher lächelte verschlagen.
Am nächsten Morgen erschien er mit hunderten seiner Getreuen in Kirchdorf. Er wies sie an, nur einen Spatenstich tief zu stechen und die ausgehobene Erde daneben aufzuhäufen. Auf diese Weise entstand ein Graben, mit Wall – nur sehr klein. So zogen die Auricher in einer langen Reihe über die Felder und umzäunten an diesem Tag so viel ihre Spaten konnten. Bis zum Sonnenuntergang hatten sie ein riesiges Gebiet erobert, die besten Weiden und fruchtbarsten Äcker Kirchdorfs.
Die Kirchdorfer, die ihren Rausch ausgeschlafen hatten, waren fassungslos. Sie hatten sich zwar an ihr Versprechen gehalten, doch der Burgherr hatte sie mit seiner List schamlos überlistet.
Von da an verarmte Kirchdorf zusehends, während Aurich immer reicher wurde. Die einst prächtige Kirche von Kirchdorf verfiel langsam, da die Gemeinde sich ihre Instandhaltung kaum mehr leisten konnte.
In der Hoffnung auf mehr Unterstützung spendeten die Kirchdorfer schließlich ihre wertvollen Glocken an die neue errichtete Kirche von Aurich.
Sie hofften, dass der Adelsmann angesichts ihrer Not etwas von seinem Reichtum teilen würde, um den kommenden Winter überstehen zu können.
Doch als die Glocken in Aurich aufgehängt und zur Einweihung geläutet wurden, ertönte kein Klang. Egal wie kräftig der Pastor an den Stricken zog, die Glocken blieben stumm. Die Menschen staunten und rätselten über diesen unerklärlichen Umstand.
Ein alter Mann aus Kirchdorf, der zugegen war, als die Glocken für Kirchdorf geweiht wurden, vermutete, dass die Glocken nur dann ihren Klang entfalten würden, wenn sie in Richtung ihres ursprünglichen Ortes, also nach Süden, schwingen dürfen. Die Auricher, die keine bessere Idee hatten, folgten seinem Rat zweifelnd und hängten die Glocken um. Und tatsächlich, als man erneut läutete, erfüllte ein mächtiger Klang die Kirche und die umliegenden Felder.
Der Adelsmann von Aurich war beeindruckt und erkannte, dass er durch seine List scheinbar etwas Wertvolles zerstört hatte und beschloss, Kirchdorf entsprechend zu unterstützen. Er ließ Lebensmittel und Kleidung in das verarmte Dorf bringen und versprach, für die Einwohner zu sorgen.
Von da entstand ein immer besseres Verhältnis zwischen Kirchdorf und Aurich und die Geschichte der stummen Glocken erinnerte die Einwohner beider Dörfer immer daran, die Geschichte ihrer Heimat und die Taten ihrer Vorfahren niemals zu vergessen.
Ich hoffe, die heutige Episode hat Euch gefallen. Wenn ihr mehr über die Arbeit hinter Friesenzeit erfahren möchtet, schaut doch auf Medi2go.de vorbei. Von dort aus entsteht dieser Podcast – und auch viele weitere kreative Projekte. Danke, dass ihr dabei wart!
Quellen:
Author / Ausarbeitung: Jürgen Jester
Sage/Legende: „Kirchdorf“ aus dem Buch „Ostfriesische Sagen und sagenhafte Geschichten“ von Wilhelmine Siefkes aus dem Jahr 1963, Verlag Ostfriesische Landschaft
Titelbild Hintergrund: Pixabay
Titelmusik von Julius H. auf Pixabay
Weitere Musikstücke zur Untermalung:
Lizenziert von Phat Phrog Studios: ‚Twilight Path‘, ‚Black Flags‘ und ‚Writhing Shadows‘