Der Heilbrunnen von Detern – Friesenzeit #9
Hallo liebe Hörerinnen und Hörer! Zu Weihnachten möchte ich euch in das südlichere Ostfriesland mitnehmen, genauer gesagt zwischen Detern und Hollen, vielleicht sogar nah an Deternerlehe soll diese alte Geschichte gespielt haben. Da ich mittlerweile in mehr als nur einem Buch von dieser Geschichte gelesen habe, wollte ich diese tragische Sage gerne noch erzählen, ehe das Jahr zu Ende geht.
Gerade in der aktuellen weltpolitischen Lage, wo immer häufiger Menschen ohne Führungsqualitäten sich in höchste Machtpositionen kaufen und diese dann schamlos ausnutzen, würde ich mir hin und wieder wünschen, dass es eine höhere Macht gäbe, die wie in unserer heutigen Geschichte für Recht und Ordnung sorgt.
Nachdem ich von meinem guten Freund Oliver schon vor der letzten Folge ein neues (aber sehr altes) Buch über Sagen aus Ostfriesland zum Geburtstag bekam, habe ich auch diese schöne Sage etwas weiter ausgearbeitet und für eine Erzählung umgeschrieben. Wie immer ist unter Quellen das Buch oder die Bücher verlinkt.
Darum würde ich mir auch wünschen, dass auch diese alte Geschichte nicht in Vergessenheit gerät! Wenn Du mich dabei unterstützen magst, freue ich mich sehr, wenn Du die Folge mit Freunden oder Familie teilst – danke :)
Ich hoffe, die neue Folge gefällt Dir und kann vielleicht beim Einschlafen oder beim Träumen von Ostfriesland helfen ;-)
Wie immer freue ich mich natürlich über jeden Kommentar, neue Ideen oder Anregungen aller Art :)
Viele liebe Grüße aus Wiesmoor,
Jürgen
Hier nochmal die Textversion. Aufmerksame Hörer:innen werden es vielleicht schon bemerkt haben, dass ich mal wieder hier und da beim Einsprechen mich wieder spontan für ein paar Änderungen im Text entschieden habe, weil es dann vielleicht besser klingt – man möge mir verzeihen. Hier also zum Mitlesen:
Der Heilbrunnen von Detern
Es war einmal vor langer Zeit, als in den Nebeln der norddeutschen Vorzeit Moor und Marsch einen großen Teil Ostfrieslands ausmachten. In jenen Tagen glaubten die Menschen auch nicht selten, dass die Kräfte der Natur von höheren Mächten gelenkt wurde. Und eben in dieser Epoche soll sich diese Geschichte zutragen haben.
Zwischen den kleinen Dörfern Detern und Deternerlehe erstreckte sich ein geheimnisvolles Stück Land, der sogenannte Püttkamp. Diese alten sumpfigen Wiesen verbergen noch immer ein düsteres Geheimnis, ein Geheimnis über das heute noch ein paar wenige Menschen Kenntnis haben.
Einst galt der Püttkamp ein Ort des Segens, denn dort sprudelte tatsächlich eine Quelle, die mehr bot als nur Wasser. Sie entsprang scheinbar tief, war glasklar und wurde wegen ihrer heilenden Kräfte als Geschenk Gottes verehrt. Viele Menschen, geplagt von Krankheit und Schmerz, pilgerten von überall her, um das Nass aus dem Brunnen zu kosten. Ein jeder war getrieben von der Hoffnung, bald der eigenen Pein entfliehen zu können, weshalb sich die Geschichte um den Brunnen auch immer weiter verbreitete.
Jene Quelle selbst lag gut geschützt innerhalb der Mauern einer mächtigen Burg, die dem Geschlecht der Grafen von Egge gehörte.
Unter der Herrschaft des alten Grafen, eines weisen und gütigen Mannes, stand der Brunnen allen offen – reichen Adeligen gleichsam dem armen Bauernvolke. Und so war es kein Wunder, dass der alte Graf in der Burg auch eine Kirche erbauen ließ, wo die Menschen aus der Region Sonntags zur Messe eingeladen waren.
Als der alte Graf dann eines Tages den Weg alles Irdischen ging, übernahm sein Sohn, ein Mann von kühlem Herzen und glühendem Stolz, nach dessen Tod die Burg und Herrschaft. Der junge Graf Egge war bekannt für seine Härte und seinen Hochmut und so kam es wie es kommen musste: Kaum war er Herr der Burg, schloss er die Tore für die Kranken und Bedürftigen. Der Brunnen, einst ein Symbol göttlicher Gnade, wurde mit einem goldenen Gitter eingefasst, und bewaffnete Wächter mussten jeden abweisen, der auch nur wagte, dem Brunnen zu nahe zu kommen. „Kein Tropfen dieser Quelle“, sprach der Graf, „gehört einem Bauern oder Bettler. Sie ist mein Besitz, wie die Felder, Wälder und Menschen, die mir untertan sind.“
Die Burg selbst wurde zu einer Festung umgestaltet
Hohe Wälle erhoben sich ringsum, und ein breiter, von dunklem Wasser gefüllter Graben schnitt sie von der Außenwelt ab. Auf zwei mächtigen Wachtürmen hielten Wächter Tag und Nacht Ausschau, denn der Graf misstraute dem Volk, das ihn insgeheim verfluchte. Und doch … wagte niemand, gegen ihn aufzubegehren. Die Bauern, die er für sich schuften ließ, mussten Zeuge sein, wie ihre Ernten niedergetrampelt wurden, wenn der Graf mit seinen Pferden durch ihre Felder jagte. Ihr Vieh wurde geraubt, ihre Dörfer unterdrückt. Er herrschte mit eiserner Faust, und es dauerte nicht lange, bis sich ein kalter Schatten über das Land legte. Wer es sich leisten konnte, zog in die Ferne – doch blieb dem größten Teil des Volkes im aufkommenden Winter nicht anderes übrig, als zu bleiben, um nicht vollends zu verarmen.
Doch das Schicksal eines Tyrannen sollte sich wandeln. Es war an einem heiligen Sonntag, als die gerechte Vergeltung nahte. Der Graf, der sich für den Herrn über alles hielt, hatte dem Priester befohlen, den Gottesdienst erst dann zu beginnen, wenn er selbst in der Kirche erschienen sei. Und er ließ den Prediger von Mal zu Mal länger warten, weil es ihm gefiel, den Priester zu demütigen.
Doch an jenem Tag, als die Kirchenglocken bereits viel länger als gewöhnlich litten und die sich Gläubigen im kalten Gotteshaus versammelt hatten, blickte der Pastor auf seine Schäfchen. Es sah viel Elend in seinen Reihen, Kranke husteten, Kinder jammerten hier und da, doch alle froren sichtbar. Der Pfarrer verweigerte sich, dieses sadistische Machtspiel des Grafen weiter zuzulassen und begann die Messe, ohne auf den Grafen zu warten.
Die Menschen freuten sich sichtlich, dass die Messe ohne den Unterdrücker begann. Kaum waren die ersten glücklichen Strophen gesungen, öffneten sich die Türen mit einem ohrenbetäubenden Krachen, und der Graf trat ein.
Schlagartig wurde es mucksmäuschenstill in der Kirche!
In seinen Augen brannte Zorn, und in seiner Hand hielt er das Schwert, das viele Menschen schon zuvor das Leben gekostet hatte. „Wie wagst du es, gegen meinen Befehl zu handeln?“ donnerte er. Doch der Priester, ruhig und unerschrocken, wandte sich ihm zu und sprach: „Ich diene nicht dir, Graf von Egge, sondern dem Herrn aller Herren. Dein Gebot hat in diesen Mauern des Herrn keinen Platz.“
Der Graf sah in den Gesichtern der Leute, dass sie die Meinung des Herrn Pfarrer teilten. In einem Anfall von Wut, wie ihn selbst seine engsten Gefolgsleute nie zuvor gesehen hatten, riss der Graf sein Schwert empor und schlug damit den Priester nieder. Das Blut tränkte die Stufen des Altars und ein Aufschrei ging durch die versammelte Gemeinde. Gerade als die ersten geschockt aufsprangen, erfüllte ein unheimliches Grollen die Luft.
Die Erde begann zu zittern, als hätte eine große Macht selbst den Frevel des Grafen gespürt. Dunkle Wolken sollen sich über der Burg zusammen gezogen haben, und ein gewaltiger Sturm brach los. Die Menschen flohen in Panik aus der Kirche, während die Mauern der Burg zu erbeben schienen.
Als der letzte vom Volke die Burg verlassen hatte und der Graf noch immer den Gläubigen trotzig hinterherblickte, öffneten sich hier und da Risse. Aber nicht nur im Mauerwerk der Burg, auch im Boden.
Bis sich schließlich mit donnernden Grollen die Erde überall unter der Burg auftat und das Bauwerk, mitsamt seinem goldenen Brunnen, den Wachtürmen und all seinem Glanz, in den Tiefen der Erde riss.
Der Graf und seine Schergen wurden nie wieder gesehen.
Was blieb, war nur ein dunkler Tümpel, die Pütte, dessen Wasser von nun an bitter und kalt war. Von der Burg des Grafen Egge blieb nichts übrig, außer einem Namen, der in den Dörfern als Erinnerung weitergegeben wurde.
Die Straße, die einst zur Burg führte, trägt bis heute den Namen des Grafen: die Graf-Egge-Straße. Sie führt an der Pütte vorbei, die stumm von jener Zeit erzählt, als Stolz und Grausamkeit über das Land herrschten – bis höhere Mächte Gerechtigkeit walten ließen.
So wird die Sage noch heute erzählt, um zu mahnen, dass kein Herrscher größer, als andere Menschen und kein Hochmut vor dem Fall sicher ist.
Danke fürs Hören :-)
Quellen:
Author / Ausarbeitung: Jürgen Jester
Sage: „Die Burg des Grafen Egge“ aus dem Buch „Deutsche Burgensagen“ von Arno Reissenweber, Verlag Pawlak Herrsching o.J. , 70er Jahre
Titelbild Brunnen-Hintergrund: Pixabay
Titelmusik von Julius H. auf Pixabay
Weitere Musikstücke zur Untermalung:
Lizenziert von Phat Phrog Studios und Monument Studios