Der Fluch von Scharfeneck – Friesenzeit #10

Willkommen zu einer neuen Folge Friesenzeit – dem Podcast für alte Sagen und düstere Legenden.
Ab der heutigen, der zehnten Jubiläumsfolge, werde ich euch künftig mit auf die Reise zu sagenhaften Orten auch jenseits der Grenzen Ostfrieslands nehmen.
Ich entführe Dich in Zeiten, in der Burgen Schatten warfen, in denen das Böse lebte und dunkle Gestalten durch die Wälder streiften.
Manche Geschichten sind wahr, andere sind vielleicht nur Legenden, die der Volksmund doch noch immer erzählt.
Heute erzähle ich von einem Mann, dessen Name selbst nach Jahrhunderten Schrecken verbreitet:
Der Fluch von Scharfeneck
Wer heute von Landau in Richtung Annweiler in den Pfälzer Wald fährt, wird auf halber Strecke von der B10 in Richtung Ramberg eingeladen. Um Ramberg zu erreichen, folgt man ab hier einfach der Beschilderung. Im Ort geht dann der Weg rechts ab zur nahen Burgruine, die nicht nur in der Region als ein lohnenswertes Ausflugsziel gilt.
Aber das war natürlich nicht immer so. Denn in längst vergangenen Tagen hätte hier niemand, der bei Trost war, nur zum Vergnügen einen Fuß in den dunklen Wald gesetzt. Denn schroffe Felsen, finstere Gesellen und tiefe Täler – das war der Pfalzer Wald im finsteren Mittelalter. Und mittendrin: die trutzige Burg Scharfeneck, beherrscht von einem Mann, dessen Name selbst den Tapfersten das Blut in den Adern gefrieren ließ…
Ritter Einaug von Scharfeneck wurde er genannt – ein Raubritter, wie er im Buche stand. Seit er in einer Schlacht sein rechtes Auge verloren hatte, war nicht nur sein Gesicht entstellt – sondern auch seine Seele. Was ihn einst gut in ihm war, ist mit dem verlorenen Auge erloschen – man kannte ihn nur als grausam und undunbarmherzig.
Sein Blick – nicht immer verborgen hinter einer schwarzen Binde – durchbohrte die Menschen wie ein glühender Dorn, und wer ihm begegnete, spürte diese Angst, abgrundtief und nagend.
Doch ‚Einaug‘ war mehr als nur grausam – er war listig. Und so schmiedete er einen Plan, von dem er nicht wusste, dass es zu Lebzeiten sein letzter werden würde:
Die reiche, friedvolle Burg Ramberg sollte sein nächstes Opfer sein.
Aber er wollte nicht mit seinen schwer gepanzerten Schergen anrücken.
Nein – heimlich sollte es geschehen. Lautlos. Heimtückisch.
Er nahm nur einen mit: seinen treuesten, aber ebenso gewissenlosen Knecht.
Bei Mondschein flüsterte er ihm zu:
„Hör mir gut zu, Gesell. Der Ramberger sitzt auf mehr Gold, als zehn Pferde tragen könnten. In dieser Nacht werden wir ihn erleichtern. Du schleichst dich in sein Schlafgemach… und stichst ihn nieder. Dann leerst du die Kästen und nimmst die wertvollsten Schätze mit. Ich beseitige die Wächter, öffne das Burgtor und warte mit unseren Pferden im Hof.“
Der Knecht grinste und zeigte seine schlechten Zähne im Schein der Fackel.
„Ein Plan nach meinem Geschmack“, zischte er.
So kamen sie zur Burg Ramberg – in schlichten Reisekleidern, friedlich und freundlich nach Obdach bittend. Man kannte Ritter Einaug nicht persönlich, und so ließ man ihn und seinen Begleiter ohne Arg ein.
Sie wurden freundlich empfangen, bewirtet, sogar mit Wein beschenkt, ehe ihnen ein Schlafplatz zugewiesen wurde.
Sie taten, als wären sie erschöpft von einer langen Reise. Doch ihre Augen – blieben wachsam und gierig.
Aber in dieser Nacht geschah etwas, womit keiner von ihnen gerechnet hatte…
Der Burgherr, Ritter von Ramberg, konnte nicht schlafen.
Etwas – vielleicht eine Ahnung, vielleicht ein göttlicher Fingerzeig – trieb ihn in die Burgkapelle.
Dort kniete er nieder, allein mit seinem Gebet, während in den Mauern seiner Burg das Verderben lauerte.
Derweil schlich sich der Knecht durch die dunklen Gänge und hörte in den angrenzenden Zimmern hier und da die Bewohner schlafen. Vor dem Gemach des Burgherrn ging er lautlos wie ein Schatten in die Hocke um die Tür zu inspizieren.
Alles war ruhig – so öffnete er das Schlafgemach – es war leer.
„Ah, falsch abgebogen“, murmelte er.
Im nächsten Raum hörte er ein tiefes, kehliges Schnarchen.
Ohne zu zögern, trat er leise ein und stach sofort zu – einmal, zweimal, dreimal – es war ein lautloser Mord im Dunkeln.
Zufrieden mit seiner Tat tastete er nach den Geldtruhen. Doch – nichts. Kein Gold, keine Kästen. Nur Kleider, Schatten und Stille.
Dann – Schritte hinter ihm.
Ein Licht.
Und eine autoritäre Stimme, die rief „Was treibst du da?“
Es war der Burgherr selbst. Der Knecht – starr vor Schreck, konnte nichts tun – die Klinge rutschte ihm aus der Hand und binnen Sekunden war er überwältigt.
Als das Licht heller wurde, da immer mehr Knechte herbeieilten, blickte er auf den leblosen Körper im Bett.
Ein starrer Blick – nur ein Auge.
Der Knecht hatte seinen eigenen Herrn erstochen.
Entsetzt sank er auf die Knie, stammelte, flehte, gestand alles.
Der Ritter von Ramberg – ein frommer Mann – hörte ihm zu. Und dann… tat er das Unerwartete:
„Geh – Lerne daraus – und kehr nicht zurück.“
Er ließ ihn frei. Nicht aus Schwäche – sondern weil er glaubte, dass Reue stärker sein kann als Rache.
Doch Einaug… der fand keinen Frieden.
Nicht im Tod. Nicht in der Ewigkeit.
Bis heute, so erzählt man sich, geistert er durch die Wälder rund um Scharfeneck – als wilder Jäger mit nur einem Auge, als dämonischer Reiter, der Fremde in die Irre treibt, als unsichtbare Last auf dem Rücken von Wanderern, so schwer, dass ihnen der Schweiß von der Stirn rinnt und die Knie nachgeben.
Und wenn er genug hat, springt er mit Gelächter von ihrem Rücken, ein Lachen, das nicht von dieser Welt ist – und das jedem, der es hört, das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Also, wenn du dich einmal nachts in die Wälder der Pfalz wagst – und ein fernes Wiehern hörst, ein heiseres Lachen aus dem Dunkel, dann kehr besser um und bete, dass Einaug nicht auf Deiner Spur ist.
ENDE
Wenn euch diese Geschichte gefallen hat, dann lasst eine Bewertung da und abonniert Friesenzeit, damit ihr keine weitere dunkle Stunde verpasst.
Kennt ihr selbst eine Sage aus eurer Heimat, die nicht vergessen werden darf?
Dann schreibt mir – vielleicht wird sie hier bald erzählt.
Bis zum nächsten Mal – wenn der Nebel sich wieder senkt und die Schatten Geschichten flüstern.
Euer Jürgen
Ein Genuß! Stimme, Klarheit, Atmosphäre dank sehr dezenter Hintergrundmusik und (für mich jedenfalls) eine Länge, die genau richtig ist.
Lieber Jürgen, du hast die perfekte Stimme für den „Märchenonkel“ (im positiven Sinne)
Lieber Tobi, vielen lieben Dank für Deine netten Zeilen das ist wie das Sahnehäubchen für den Einstieg in den Tag.
Viele liebe Grüße aus Ostfriesland
Jürgen